Disruption Alpen

Mediation Disruption
Der große Aletschgletscher: Blick vom Eggishorn (2926 m) im Wallis Switzerland auf Aletschgletscher, rechts hinten verdeckt die Concordiahütte mit Jungfrau Mönch Eiger: UNESCO-Weltnaturerbe Bergregion Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn

Alpendämmerung – Eine Filmrezension

In der folgenden Filmrezension geht es mir um die unheimliche Disruption im Klima der Alpen. Nur dass der Begriff ‚Disruption‘ hier nicht ganz stimmt, denn es geschieht nur eine Unterbrechung, die kreative Umformung findet vermutlich gar nicht statt, da nichts schöpferisch Neues entsteht.

Disruption, von „disruptiv“ unterbrechend, meint die kreative Umformung einer unternehmerischen Tätigkeit, die Balance aus Zerstörung und Aufbau zur Sicherung des Fortbestehens beispielsweise eines Familienunternehmens.

Jedes Jahr gehen durch den Klimawandel von den existierenden 100 Kubikkilometern Gletschereis in den Alpen zwei verloren. Lesen Sie deshalb meinen Beitrag für die Zeitschrift des DAV / Deutscher Alpenverein, Sektion Hamburg und Niederelbe „Hamburg Alpin“:

„Die Alpen wie wir sie kennen, wird es bald schon nicht mehr geben.“ (O-Ton Film)

Das ist eine Ansage! Denn die Alpen sind der Zeit voraus. Schon heute haben wir dort die 2 Grad Klimaerwärmung, die wir doch maximal erleiden wollten. 4 Grad sind für die Alpen prognostiziert. Als ich die Doku Alpendämmerung – Europa ohne Gletscher in der ARD vom 14.1.2019 sah, war ich durchaus erschüttert. Die Filmemacher Thomas Aders und Wolfgang Wanner produzierten für den SWR ein ästhetisch-erschütterndes Klimadrama. Zu sehen in der ARD-Mediathek bis 14.01.2020 (und danach auf youtube, Link s. unten).

Auf unserer Alpenüberquerung 2018 in einer Sechsergruppe vom Bodensee nach Südtirol mit diversen Gletschern jämmerlichen Anblicks, sah ich zuletzt die Gegebenheiten im Sommer: sei es der Mittelbergferner und der Gletscherblick von der Braunschweiger Hütte aus, oder auch der Niederjochferner beim Piz Similiaun in den Ötztaler Alpen: Als Wandertourist findet man sich ungewollt in der Sterbebegleitung wieder, wie es der Glaziologe Dr. Matthias Huss von der ETH Zürich in der Doku treffend nennt. Im Winter sieht ein Gletscher einfach fantastisch aus. Das Team um Matthias Huss fühlen im Frühjahr und im Herbst jeweils den ‚Puls‘ der Gletscher. Die überdurchschnittliche Schneehöhe von über fünf Metern ist das Ergebnis im Frühjahr, am 25.4.2018. Das Messergebnis im Herbst kommt selbst für Experten überraschend: fünf Meter Schnee aus dem Winter sind im Sommer wegschmolzen und hinterlassen Gletscher-Kadaver.

Der Film macht anschaulich wie dramatisch die Folgen beispielsweise des Skitourismus sind. Ich sah es zuletzt 2018, als wir uns beim Abstieg von 3000 Metern aus Richtung Braunschweiger Hütte kommend über das Pitztaler Jöchl an drei Steinböcken erfreuten, die wir im Nebel geschützt beobachten konnten. Die herausragende Sicht konnten wir nicht genießen, aber dank Nebel die Steinböcke. Euphorisch und zugleich umso ahnungsloser näherten wir uns weiter Richtung Vent der Schneidbahn auf 2765m, Sölden im Ötztal. Eine Mondlandschaft. Das Hässlichste was ich in den Alpen bisher persönlich in Augenschein nehmen musste. An solchen Orten bin ich winters nicht, sommers das erste Mal. Was im Winter traumhaft schön erscheinen mag ist im Sommer ein Ort des Grauens. Als Allgäuer, der sein Leben lang auf den Skiern stand sowie als Absolvent der Uni Hamburg mit einer Schwerpunktausbildung Ski am Fachbereich Sport weiß ich: es gilt, Wissen über die Empfindlichkeit der sensiblen Region Alpen zu vermitteln. So auch das Ziel des DAV: „Erhaltung der Bergwelt, Erweiterung der Kenntnisse über die Gebirge“. In diesem Sinne handelt auch der Schweizer Verband pro natura, den ich von der Riederfurka oberhalb der Riederalp am Aletschgletscher kenne. Studenten arbeiten über den Sommer auf der Riederfurka und führen ehrenamtlich die Touristen durch den Aletschwald, fördern Achtsamkeit für den Urwald in den Hängen des vergangenen Aletschgletschers (vgl. Waibel, 2016, 214). Der Film zeigt Bilder über diesen größten, längsten und tiefsten Alpengletscher: 23 km lang, immer noch bis zu 800 Meter dick. Aus der Perspektive der Concordia-Hütte, 1877 erbaut, demonstriert der Hüttenwirt den aktuellen Zustand des sterbenden Aletsch. In 140 Jahren schmolz hier der Aletsch um 150 Meter. Rückgang um einen Meter pro Jahr, aktuell kalkuliert man mit ca. 2-3 Metern pro Jahr. Derweil wurde zur Wintersaison 2015 in der Aletscharena der Moosfluh-Lift auf der Bettmeralp neu gebaut, begleitet von Wissenschaftlern der ETH Zürich. Wegen der verlorenen Stützkraft durch den geschmolzenen Gletscher ist der Fels instabil geworden. Jetzt stehen die Seilbahnstützen mit Verschiebechassis auf dem Berg und können nachjustiert werden. „Es ist der Rückzug des Aletschgletschers, der in erster Linie die Bewegung des Untergrunds bewirkt. Weil die stützende Wirkung des Eises fehlt, rutscht das Gebiet Moosfluh-Sparrhorn langsam, aber sicher in Richtung Nordwesten.“

Der markante Allgäuer Berg Hochvogel, das ‚Matterhorn der Allgäuer Alpen‘, steht mit seinen 2592 Metern kurz vor dem Kollaps, der Stein aus Hauptdolomit bricht durch den Rückgang des Permafrosts. Neben dem Gipfelkreuz ist ein meterbreiter Spalt. Geologen erwarten einen jederzeit möglichen Absturz von ca. 260.000 Kubikmetern. Die Filmdoku macht anschaulich was woanders schon passiert ist. Die achtzigjährige Elvira Salis im Dorf Bondo im schweizerischen Kanton Graubünden verlor ihr 345 Jahre altes Haus durch eine lavaähnliche Steinlawine aus drei Millionen Kubikmeter Felsen vom Piz Cengalo. Sie schaut zu, wie ihr Resthaus abgerissen wird, auch hier ist es Sterbebegleitung. Sie nimmt Abschied vom Familienzuhause.

Wir Elbanrainer lieben die Alpen, die DAV-Sektion Hamburg und Niederelbe ist mit 22.000 Mitgliedern einer der größten Sportvereine Deutschlands. Durch die geographische Distanz zu den geliebten Bergen und der zugleich räumlichen Nähe zum gezeitenabhängigen Fluss Elbe und zu zwei Meeren mit seiner ganz anderen und doch vergleichbaren Naturgewalt haben wir einen besonderen Blick und sollten – sturmfluterprobt – wissen was es gilt: nicht nur reden, handeln.

Jochen Waibel

Erstveröffentlichung in: Hamburg Alpin, 2/2019,
Hrsg. DAV Deutscher Alpenverein, Sektion Hamburg und Niederelbe

aktueller Link zur Doku auf youtube

(früherer ARD-Link zur Doku)

(Dank an den Glaziologen Dr. Matthias Huss für das Feedback und die Korrekturen in dieser Rezension)